Verona

Von Romeo und Julia

Im historischen Zentrum von Verona liegt die Piazza delle Erbe. Von dort sind es nur wenige Schritte zum Haus der Julia (Casa di Gulietta), dem angeblichen Elternhaus von Julia, der besseren Hälfte des wohl bekanntesten Liebespaares der Weltgeschichte. Über die Toreinfahrt in der Via Capello gelangt man in einen von Touristen überlaufenden Innenhof. Knapp darüber befindet sich ein Balkon, von wo aus Julia – sollte man den zahlreichen Reiseführern Glauben schenken – ihrem Liebsten zuwinkte.


Das Ritual

Jeder drängt in den Hof, wo Julias Statue steht und der berühmte Balkon zu bewundern ist. Alle sind dabei nur davon getrieben der Julia zu Leibe zu rücken und ein Foto mit ihr zu erhaschen, egal wie sehr auch dafür gedrängelt werden muss.

Julias Bronzestatue gibt es erst seit 1972. Ihre rechte Brust ist wie glattpoliert, da beinahe jeder Besucher sie ungeniert angrabscht. Denn wer das tut, so sagt man, dem wird die Liebe ewig hold bleiben. Der Ursprung dafür ist unbekannt.

Romantisch veranlagte Touristen haben jedoch weit mehr als nur Julias Brust beschädigt. Unter verliebten Paaren ist es ein Muß, irgendwo am Haus eine Liebesbotschaft anzubringen. Zum Beispiel an der Wand unter dem Balkon in Form von kleinen Zetteln. Dabei wird die Liebeserklärung einfach auf ein Papierchen geschrieben und mit einem Kaugummi an die Wand geklebt. Ist beides nicht zur Hand, nimmt man ein Heftpflaster aus der Reiseapotheke, oder schmiert mit Stiften oder Nagellack direkt auf die Wand. Aber auch in der Toreinfahrt selber schreiben Menschen jeden Alters und Geschlechts rechts und links ihre Liebesbotschaften an die Wände.

Weil einige Besucher bisweilen auch Hausmauern weitab von Julias Casa beschrifteten, hat sich die Stadtverwaltung entschlossen, den mitteilungsbedürftigen Schreiberlingen eine ordentliche Schreibfläche zur Verfügung zu stellen. Nun kann jeder der will seine Botschaft auf der Wand bei der Zufahrt hinterlassen – und ältere Botschaften überschreiben. Denn freie Stellen gibt es auf dem rund zehn Meter langen Mauerstück schon lange nicht mehr.


Nichts ist wie es scheint.

Die Geschichte von Romeo und Julia.
Ein Werk von William Shakespeare, richtig? Falsch! Um das Jahr 1595 diente Shakespeare eine etwa 30 Jahre ältere Erzählung des Engländers Arthur Brooke als Vorlage, von der er teilweise wortwörtlich abgeschrieben hat. Brooke selbst kopierte die Geschichte wiederum direkt oder über ein paar Umwege von einer 1530 erschienenen Novelle des italienischen Autors Luigi Da Porto, der sie 1524 ersonnen hatte. Dieser war es auch, der den beiden Liebenden ihre Namen gab und die Handlung in Verona ansiedelte. In einer früheren Version war der Schauplatz noch die Stadt Siena und das Liebespaar trug die etwas weniger publikumswirksamen Namen Mariotto und Ganozza.

Der berühmteste Balkon der Literaturgeschichte.
Sei es drum, wer die Geschichte ursprünglich erdacht hat, das Anwesen und vor allem der Balkon dienten Shakespeare immerhin als Inspiration, richtig? Falsch! Der Balkon, auf dem Julia einst sehnsüchtig gewartet haben soll, ist zwar ein wahrer Touristenmagnet, aber weder historisch, noch war er immer ein Balkon. An dieser Stelle befand sich nämlich niemals ein Balkon – er wurde in den 1930er Jahren nachträglich dort angebracht. Man hat dafür der Einfachheit halber einen alten Sarkophag umfunktioniert und an der Fassade angebracht. (Am Rande bemerkt bedeutete in hellenistischer und römischer Zeit ????? ?????????? – líthos sarkophágos wörtlich „fleischfressender Stein“, was bildlich gesehen bei einem steinernen Sarg auch irgendwie naheliegt.)

Das Elternhaus der Julia.
Wenigstens das Anwesen war damals eine Art Palast, richtig? Falsch. Das Haus selbst wäre zwar alt genug, bis zum letzten Umbau wurde es allerdings als Gasthof und teils als Stall genutzt und konnte keineswegs das Haus einer reichen Familie gewesen sein.

Die zahllosen Verliebten aus aller Welt stört das alles jedoch wenig, sind sie doch ohnehin viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Briefchen an den Wänden zu hinterlassen.